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Grüne Zeitpolitik

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„Zeitpolitik“ klingt auf den ersten Blick etwas seltsam, irgendwie nach Zeitumstellung oder als ginge es um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Damit hat das Thema aber gar nichts zu tun. Im Gegenteil: Hinter dem Begriff Zeitpolitik verbirgt sich die Idee, mit politischen Maßnahmen zu ermöglichen, dass alle Menschen (egal welchen Geschlechts, egal wie viel oder wenig sie besitzen) über ihre eigene Zeit bestimmen können und mehr Zeit für Dinge haben, die ihnen im Leben wichtig sind. Und damit greift Zeitpolitik ein Bedürfnis vieler Menschen auf: Wer kennt nicht das Gefühl, dass neben Job, Uni oder Schule zu wenig Zeit bleibt, einfach mal nichts zu tun, Zeit für Freund*innen zu haben oder sich ehrenamtlich zu engagieren? Wir wollen ermöglichen, dass für all das mehr Zeit da ist.

Mehr Zeit für alle Geschlechter!

Zeitpolitik ist gerade aus frauen- und geschlechterpolitischer Sicht ein zentrales Thema. Lange hat die Frauenbewegung dafür gestritten, dass Frauen berufstätig sein und ihr eigenes Geld verdienen dürfen. Und es ist ein Erfolg der Feministinnen, dass das heute möglich ist. Heute arbeiten so viele Frauen wie noch nie zuvor: 71,6 Prozent waren es im Jahr 2012. Im Vergleich: bei den Männern sind es 82,1 Prozent. Nur ist es eben so, dass ein Großteil der Frauen, die arbeiten, in schlecht entlohnten Berufen tätig ist, in Minijobs oder in Teilzeit. Das deutsche Steuer- und Arbeitsmarktsystem fördert nach wie vor die Rollenverteilung: Mann arbeitet Vollzeit und die Frau bleibt zu Hause oder arbeitet nur sehr wenig. Die Konsequenzen bestehen oft darin, dass Frauen im Alter eine geringe Rente bekommen und nicht selten sogar in der Altersarmut landen. Das hängt auch damit zusammen, dass Frauen deutlich weniger verdienen als Männer: Immer noch 22 Prozent beträgt der Lohnunterschied, weswegen wir jedes Jahr zum Equal Pay Day auf die Straße gehen.

Das alles ist schon ungerecht genug. Dazu kommt, dass Frauen in Deutschland immer noch den Großteil an Sorge- und Pflegearbeit übernehmen. Egal, ob es um die Erziehung von Kindern geht, oder um die Pflege von älteren Menschen, häufig sind es die Frauen, die dafür ganz selbstverständlich zuständig sind. Und das machen sie, ganz selbstverständlich, unbezahlt: Pro Tag leisten Frauen eineinhalb Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Und neben all diesen Dingen – Job, Erziehung, Pflege – ist es kein Wunder, dass Frauen zu wenig Zeit haben für andere Dinge, wie zum Beispiel Engagement oder Freizeit.

Grüne Zeitpolitik ist also ein feministisches Thema. Wir wollen, dass Frauen bessere Löhne bekommen (nämlich den gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit) und dass sie einen Beruf ergreifen können. Wir wollen die Strukturen so ändern, dass sich auch Männer genauso selbstverständlich Zeit für Erziehung nehmen können. Die partnerschaftliche Aufteilung von Erziehungsarbeit – das ist unser Ziel. Damit greifen wir die Wünsche vieler Menschen auf: Frauen wollen im Schnitt deutlich mehr, Männer deutlich weniger arbeiten, weil sie mehr Zeit für ihre Familie wollen. Um das zu erreichen, trauen wir uns auch an die harten Fragen ran: Wir schaffen das Ehegattensplitting ab, wollen ein Ende der Minijobs, ein Entgeltgleichheitsgesetz und natürlich die Aufwertung von Fürsorgearbeit! Zeitpolitik als feministisches Thema zielt auf die Gleichberechtigung von Frauen ab.

Mehr Zeit für ehrenamtliches Engagement und Demokratie!

Demokratie braucht Engagement. Menschen brauchen Freizeit, in der sie sich in Parteien oder Vereinen, in Jugendorganisationen wie der GRÜNEN JUGEND oder Bewegungen engagieren können. Diese Zeiten müssen ermöglicht werden. Zum Beispiel führen die Verkürzung und Verdichtung der Schul- und der Studienzeiten dazu, dass Schüler*innen und Studierende kaum noch Zeit haben, um nebenbei ehrenamtlich aktiv zu sein. Viele Mitglieder der GRÜNEN JUGEND, die mal ein Amt übernommen haben, kennen das. Wir wollen durch ein anderes Studiensystem und in vielen Bundesländern durch die Rücknahme der G-8-Reformen in der Schule die Lern-Zeit wieder verlängern. Weil Bildung Zeit braucht, und Demokratie und Engagement eben auch.

Auf der anderen Seite sollten wir als politische Partei auch unsere eigenen Strukturen anschauen und überlegen: Wer hat eigentlich die Zeit, jeden zweiten Abend auf einer politischen Veranstaltung anwesend zu sein? Um mehr Teilhabe an der Demokratie zu gewährleisten, tragen also auch wir selbst Verantwortung, zum Beispiel indem wir uns bemühen, unsere Sitzungen und Strukturen so organisieren, dass auch Eltern mit Kindern daran teilnehmen können.

Viele Instrumente sind denkbar

Zeitpolitik ist kein eigenes Politikfeld, es gibt zum Beispiel kein Zeitpolitik-Ministerium, wie es ein Wirtschafts- oder Umweltministerium gibt. Zeitpolitik ist ein Querschnittsthema, das in verschiedene Politikbereiche hineinspielt. Es hat Verbindungen zur Frauen- und Familienpolitik, zur Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Wirtschafts-, Gesundheits- oder Demokratiepolitik. Daher gibt es auch bisher nicht das eine Instrument, mit dem wir die Zeitprobleme aller Menschen lösen können und wollen. Viele Instrumente für eine grüne Zeitpolitik sind denkbar: Im Programmprozess von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diskutieren wir über das Grundeinkommen und die Brückengrundsicherung, über Familienarbeitszeiten und Sabbaticals, über Pflegezeiten, Arbeitszeitverkürzungen, Arbeitszeitkonten und über vieles mehr. Wir haben noch keine perfekte Lösung, aber das ist für uns auch eine spannende Herausforderung. Mir persönlich ist wichtig, dass die Instrumente, die wir am Ende fordern, die Geschlechtergerechtigkeit im Blick haben. Das heißt, grüne Zeitpolitik kann aus meiner Sicht nicht bedeuten, dass wir das System von heute stärken (Frauen kümmern sich um die Familie, Männer gehen Vollzeit arbeiten). Ich setze mich für Instrumente ein, die dazu führen, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern. Und noch ein Thema ist mir bei der Wahl der Instrumente wichtig:

Eine Umverteilung von Zeit, Geld und Macht!

Das Thema Zeitpolitik ist kein Eliten-Projekt. Wir wollen, dass alle Menschen mehr Zeit haben. Zeit für Freund*innen, Zeit für Familie, Zeit für sich selbst, Zeit für Erwerbsarbeit, Engagement und Freizeit. Damit das nicht nur ein tolles Projekt für diejenigen wird, die sich das eh schon leisten können, weil sie ohne Probleme mal für ein halbes Jahr aus dem Beruf aussteigen können, müssen wir umverteilen, und zwar Geld, Macht und Zeit. Denn auch die Frau, die drei (schlecht bezahlte) Jobs hat, um mit dem Gehalt über die Runden zu kommen, hat das Recht auf mehr Zeit. Am Ende muss nicht die Forderung nach vollem Lohnausgleich für alle stehen, aber für die unteren und mittleren Einkommensgruppen brauchen wir Formen von Lohnausgleich, damit sich eine Umverteilung von Arbeit nicht nur Besserverdienende leisten können.

Eine neue Grüne Zeitpolitik

Alle möglichen Umfragen zeigen immer wieder, dass viele Menschen unter Stress leiden, dass die Arbeitswelt sich durch neue Technologien verdichtet hat und dass sehr viele Menschen ihre Arbeitszeit verringern wollen. Darum greifen wir Grüne dieses Thema auf und diskutieren die richtigen Instrumente, mit denen alle Menschen stärker über ihre eigene Zeit bestimmen können. Es geht dabei um Geschlechtergerechtigkeit, um Demokratie und die Frage, wie wir als Gesellschaft leben wollen. Ich freue mich, wenn sich die GRÜNE JUGEND weiterhin stachlig in diesen programmatischen Prozess der Grünen einbringt.


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